Machiavellis realistisches Menschenbild und seine Rechtfertigung des Staats
DOI:
https://doi.org/10.2298/FID1802182KKeywords:
menschliche Natur, politischer Realismus, politische Ordnung, Ehrgeiz, Habgier, Erziehung, Religion, Gesetz und OrdnungAbstract
Der vorliegende Aufsatz analysiert Machiavellis Menschenbild. Er argumentiert gegen die vorherrschenden Auffassungen, die es entweder als pessimistisch oder als optimistisch charakterisieren und begründet die These, dass der Florentiner ein realistisches Menschbild hatte. Machiavelli ist ein „psychologischer Egoist“, der den Menschen als ein Wesen ansieht, dessen Handlungen durch seine Triebe, Wünsche und Leidenschaften motiviert werden, die ihn häufig zu unmoralischem Verhalten verleiten. Die zentralen Antriebe des Menschen sind „Ehrgeiz“ (ambizione) und „Habgier“ (avarizia). Der vorliegende Aufsatz untersucht auch Machiavellis Naturbegriff und zeigt, dass die Unwandelbarkeit der menschlichen Natur für ihn die zentrale Prämisse ist, die eine wissenschaftliche Analyse von Politik ermöglicht. Trotz der Tatsache, dass die menschlichen Triebe und Fähigkeiten zu allen Zeiten dieselben sind, kann der Mensch durch gute Gesetze, militärisches Training und Religion verändert und zur „Tüchtigkeit“ (virtù) erzogen werden. Die Voraussetzungen für derartige Veränderungen sind jedoch eine gute gesetzliche und politische Ordnung. Machiavelli rechtfertigt den Staat wegen dessen Fähigkeit, die menschliche Natur umzugestalten und den Menschen zu verbessern. Der Staat ist nicht bloß eine Zwangsgewalt, sondern auch eine moralische Institution. Daraus ergibt sich die Konklusion, dass Machiavelli die Politik nicht von der Moral trennt, wie die meisten Wissenschaftler behaupten.
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